Zeitschrift misericordia vom November 2011
Barmherzige Brüder Bayern
„English without Frontiers“- „Englisch ohne Grenzen“, so lautete das zentrale Thema eines Workshops, der vom 20. bis 22. Mai 2011 bei den Barmherzigen Brüdern Gremsdorf stattfand. Teilnehmer von Berlin bis Ingoldstadt, von Suhl bis Koblenz waren nach Gremsdorf gekommen, um ihre Erfahrungen auszutauschen, wie das Fach Englisch für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in adäquater Form angeboten werden kann.
Mitorganisator Mike Gibson, der seit über 6 Jahren Englischkurse in der Gremsdorfer Einrichtung für Menschen mit Behinderung durchführt, gab zu Protokoll, das er „nie so eine begeisterte Gruppe“ unterrichten durfte wie die gehandicapten Frauen und Männer. Fast alle Gäste berichteten von durchweg positiven Erfahrungen, die sie und ihre gehandicapten Frauen und Männer mit teils mehrwöchigen Aufenthalten in England machen konnten. ...
In seinem Grundsatzreferat sprach Lothar Heusohn, Fachbereichsleiter Politik, Gesellschaft und Umwelt an der Volkshochschule Ulm, der das Standardwerk "English without frontiers" entwickelt hat, davon, dass die Lektionen und Übungen „nicht auf abstrakten, von der Lebenswelt der betroffenen Teilnehmer mehr oder minder weit entfernte Themen“ basieren dürfe, sondern an der „oft limitierten Erfahrungswelt der Zielgruppe anschließen sollten“. Deswegen sei es wichtig, alle nur möglichen Kommunikationsformen einzusetzen und auch Bilder, Fotos und Piktogramme von großem Nutzen seien.
Südwest Presse Ulm vom 14. Mai 2009, Rudi Kübler
Ulm/Prag. Zuerst flatterte nur eine dürre Information ins Haus, dass das Projekt der Ulmer vh in einer EU-Broschüre präsentiert würde. "Nicht schlecht", dachte sich vh-Mitarbeiter Lothar
Heusohn, der das Projekt "Englisch ohne Grenzen" gemeinsam mit dem Ulmer Heilpädagogen und Kollegen von Bildungseinrichtungen aus Schweden, Österreich, den Niederlanden, England und Estland
vorangetrieben hatte.
In dreijähriger Arbeit hatte das Team einen umfassenden Englisch-Kurs für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder Lernschwierigkeiten erarbeitet: mit Lehrmethode, Lehrplan, einer DVD sowie einem
Wörterbuch. Das Projekt war eine Erfolgsgeschichte, weil es aufgrund seiner Praxisnähe oft von Bildungseinrichtungen nachgefragt wurde.
Jetzt sollte das Projekt in der EU-Broschüre vorgestellt werden. Der passende Titel: "Kreativität und Innovation - Europäische Erfolgsgeschichten". Es sollte aber noch besser kommen. Plötzlich
hieß es, die besten drei Projekte würden in Prag anlässlich einer europäischen Konferenz ausgezeichnet - und die Ulmer sollten doch bitteschön mit den Koordinatoren aus Schweden bei der
Preisverleigung anwesend sein.
"Wo das alles enden würde, ahnten wir nicht". Es kam, wie es kommen musste: Die Preisverleihung endete damit, dass sich Heusohn auf der Bühne wiederfand. "Es war wie bei einer Oscar-Verleihung, and
the winner is ...", sagt Heusohn, der die Auszeichnung von EU-Kommissar für Bildung und Kultur, Jan Figel, und dem tschechischen Bildungsminiaster Ondrej Liska entgegennahm. Ruhm und Ehre also für
das Projekt, an dem noch andere Ulmer beteiligt waren: Lehrererinnen der Gustav-Werner-Schule beispielsweise, die im Unterricht die Lektionen durchgearbeitet hatten. Oder auch der Designer Roger
Wakl, der für die einheitliche Gestaltung gesorgt hatte. Letzlich aber sei der Preis eine Anerkennung für einen wichtigen Bereich, sagt Lothar Heusohn, "dass nämlich die Forderung nach Bildung für
alle auch für Menschen mit Behinderung gilt".
Südwest Presse Ulm vom 4. Juni 2008, Rudi Kübler
Ganz am Ende des Projekts, nach 2 Jahren, waren 492 Seiten Papier produziert. Ein umfassender Lehrplan mit Methoden und Materialien für Kursleiter erstellt, eine DVD mit Videoclips zu jedem
Kapitel bespielt. Ein Wörterbuch mit einem überschaubaren Grundwortschatz von 250 Wörtern und einfachen Sätzen angefertigt. Ganz am Ende des Projekts waren auch alle Beteiligten am Ende - mit den
Nerven. Weil am Schluss die Zeit drängte, wie Lothar Heusohn von der Ulmer vh sagt. Doch der Stress hat sich gelohnt, "das Ding ist irre gut geworden".
Das Ding: ein Curriculum, das in seiner Art wohl einzigartig ist. Denn Englisch-Lehrpläne für geistig behinderte Erwachsene oder Menschen mit Lernbehinderungen sind rar gesät. "Einen solchen Lehrplan
zu entwickeln, ist unter kommerziellen Aspekten uninteressant", weiß Heusohn, der sich gemeinsam mit dem Ulmer Heilpädagogen Franz Schweitzer seit 10 Jahren um diesen Personenkreis kümmert - in der
Sommerschule. Diese Einrichtung hat sich im Rahmen der Volkshochschule den Anspruch, Weiterbildung für alle, also auch für geistig Behinderte anzubieten, auf die Fahnen geschrieben. Insofern waren
die beiden Ulmer prädestiniert für das EU-Projekt "English without frontiers", das im Oktober 2005 an den Start ging - nicht ohne zuvor ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen zu haben. 63 Anträge
waren gestellt worden. 13 Projekte wurden schließlich bewilligt, "was auch etwas über die Qualität unserer Konzeption aussagt". Nämlich eine Methodik zu entwickeln, wie man Menschen mit Behinderungen
eine Fremdsprache vermitteln kann. Und wie sieht die aus? "Es ist die Methodik der kleinen Schritte", erklärt Heusohn, der mit Kollegen von Bildungseinrichtungen aus Schweden, Estland, Niederlande,
Österreich und England zusammengearbeitet hat. Und ohne die Unterstützung der Gustav-Werner-Schule, die 2 Lehrerinnen für die Pilotkurse im Rahmen der Sommerschule abgestellt hat, wäre er wohl
aufgeschmissen gewesen. Stichworte lauten: viele Wiederholungen, Orientierung am Alltag, spielerische Elemente. Viel Wert wird auf die mündliche Vermittlung gelegt; um die Sprache anschaulich und
über Personen greifbar zu machen stehen die Videoclips mit den Dialogen zwischen Mike und Jill im Mittelpunkt des zehnteiligen Kurses, der praxisnahe Themen aufgreift, wie Franz Schweitzer sagt.
Themen wie: May Friends, My Hobbies oder Going on Holiday. Heusohn spricht von einem "Lindenstraßeneffekt", nicht zuletzt, weil auch die Band "The Fantastics" immer wieder in den Videoclips
auftritt.
Richtige Arbeit gemacht hat das Wörterbuch mit dem Kernvokabular - 25 pro Kurseinheit. Macht 250 insgesamt. In einer Lautschrift, die mit der offiziellen nichts zu tun hat, weil sie die Zielgruppe
überfordern würde. "Also haben wir eine eigene Lautschrift geschaffen, die leicht zu lesen ist", sagt Heusohn. Beispiel: Kän ai häw de bill pliis? Die Rechnung für das Projekt zahlt übrigens die EU,
die alles in allem 365 000 Euro auf den Tisch legt.
Erste Abnehmer haben sich schon gefunden: Eine Bildungseinrichtung aus Ellwangen hat die Kursmaterialien bereits gekauft, andere haben nachgefragt.